Berlin - Charlottenburg 9, Januar 1955

 

VStW 94 mit EMK = Wählern

Berlin - Charlottenburg 9, Ratzeburger Allee 1

 

1.           Allgemeines

 

                Die frühere Vstw 99, Berlin - Charlottenburg 9, Ratzeburger Allee 1, die 1945 von Russen vollständig demontiert wurde, ist als Vstw 94 wiedererstellt und mit Edelmetall = Motor = Koordinatenwählern (EMK = Wähler) ausgerüstet worden. Die Firma Siemens & Halske hat die gesamte technische Einrichtung in ihrem Berliner Wernerwerk hergestellt und an Ort und Stelle aufgebaut. Es ist die zweite VStW dieser Art im ON Berlin - West, die nach den günstigen Erfahrungen mit diesen Motorwählern bei der Vstw 35 in vieler Hinsicht verbessert sowie wirtschaftlicher und zweckmäßiger geplant und ausgeführt werden konnte. Der erste Aufbau umfasst 4 600 Anrufeinheiten (AE) und 100 AE für Münzfernsprecher. Der Wählerraum von rd. 350 m2, der bei Verwendung von Vorwählern und Hebdrehwählern für 10 000 AE ausgereicht hätte, kann nach der neuen Planung mit EMK = Wählern 15 000 AE aufnehmen, was eine erhebliche Ersparnis an Nebenkosten bedeutet. Die Kosten für die Lieferungen und den Aufbau des ersten Bauteils (4 700 AE) betragen einschl. Der Stromversorgungsanlage und der neuen Kabelhochführung im Hause rd. 1,760 Mio DM, sind also nicht höher als eine technische Einrichtung gleichen Umfangs mit Hebdrehwählern.

 

                Wie schon bei der VStW 35 wird auch bei der neuen VStW 94 nur eine Art Wähler verwendet, nämlich der EMK = Wähler mit 110= und 220=teiligen Kontaktsätzen, die als Anrufsucher (AS), Gruppenwähler (GW) aller Stufen und als Leitungswähler (LW) benutzt wird. Die Wähler sind aufbautechnisch in Einheiten, den Gestellrahmen, zusammengefasst, die 20 Wähler mit ihren Relaissätzen, Signalen, Sicherungs=, Klinken= und Lampenstreifen aufnehmen und die gegen Verstaubung und Beschädigung verkleidet und gut abgedichtet sind. Als Beleuchtung ist die neue Art von Röhrenspiegelleuchten angebracht worden. Die Gesprächszähler sind geschlossen in einem besonderen Gestell untergebracht worden.

 

Schaltungstechnisch ist das Anrufsucherprinzip beibehalten worden. Die wesentlichen Funktionen auf der Abgangsseite sind im AS vereinigt. Während die Schaltung der I. GW mit den übrigen GW = Stufen (II. - V. GW) übereinstimmt. Die Schaltung der Leitungswähler als Orts= und Fernleitungswähler (ORLW) entspricht dem System 50 und  sowohl die Übermittlung der Regelkennzeichen (RKZ) als auch der Impulskennzeichen (JKZ) vor.

 

Das Prüfrelais mit sehr kurzer Ansprechzeit (1 . . . 2 ms) hat für alle Wählrelaissätze eine Sonderausführung erhalten und kann durch Steckerverbindungen leicht ausgewechselt werden; nach Herausnahme ist der Wähler gegen Belegungen gesperrt.

 

In der Stromzuführung zu den Wählergestellrahmen ist gegenüber der VStW 35 insofern eine Verein-fachung eingetreten, als die Wähler und ihre Relaissätze über eine Leitung gespeist werden. Um die bei der Betätigung der Wähler erzeugten Störfrequenzen von den Sprechstromkreisen abzuhalten, sind Ableitungs-kondensatoren zu 2000/uF eingeschaltet worden.

 

Zu den Verbesserungen, die auf Grund der Erfahrungen an den Wählern vorgenommen worden sind, gehören

a)            Einbau eines veränderlichen Widerstandes, um die Schaltgeschwindigkeit des Wählers einstellen zu können;

b)           die Rastfedern bestehen aus geeigneterem Federstahl

c)            die Auflagen der Betätigungsarme sind aus Duraluminium angefertigt.

2.            Gruppenbildung und Beschaltung der VStW

 

                Die Verwendung von Anrufsuchern (AS) in einer großen VStW ist bei unserer Post etwas Neues, denn bisher sind diese großen Anlagen stets mit VW (Drehwählern) ausgerüstet worden, wogegen die Verwendung von Hebdrehwählern als AS für Nebenstellenanlagen seit langem üblich ist. Die Wirtschaftlichkeit bei der Verwendung von AS liegt in der Hauptsache in der zweckmäßigen und sparsamen Ausgestaltung der Vorwahlstufe, d.h. der eigentlichen Anrufeinheiten für die Anschlüsse. Auf Grund der Erfahrungen und Verkehrsmessungen bei der VStW 35 ist für die VStW 94 eine Regelung getroffen worden, bei der sämtliche AS = Gestellrahmen voll bestückt sind (keine leeren Plätze) und die es bei gleichmäßiger Beschaltung der AE mit Anschlüssen ermöglichen wird, sämtliche

 

Anrufrelaissätze (ARS) auszunutzen.

Es sind dazu vorgesehen:

a)            Für 4000 Anschlüsse mit schwachem Verkehr

                20 Gruppen von 200 AE mit 10  220-teiligen AS, so dass 1 AS = Gestellrahmen mit 20 AS für 400 AE

                ausreicht. Durch eine möglichst gleichmäßi9ge Verteilung der Anschlüsse auf diese 20 Gruppen soll erreicht

                werden, dass in jeder gruppe die 200 AE zu 90 . . . 95 vH beschaltet werden können und 10  220-teilige AS für

                den in den Gruppen aufkommenden Sprechverkehr in abgehender Richtung ausreichen.

 

b)           Für 600 Anschlüsse mit mittelstarkem Verkehr (gemischter Verkehr schwächerer und stärkerer Art)

                3 Gruppen von 200 AE mit 20 AS davon

                               Je 7  110-t AS für die 100. Gruppe und

                                   6  220-t AS für die 200. Gruppe.

 

Auch in diesen Gruppen muss eine gleichmäßige Belastung bis zur Höchstbeschaltbarkeit von 95 vH angestrebt werden.

 

Die Sammelanschlüsse werden in den Hundertgruppen untergebracht (03., 05. und 07. Hundert), die mit 12 LW ausgerüstet sind.

 

Die Einzel - AE, die für die Großsammelanschlüsse des 01. Hundert zusammengefasst werden müssen, sind dem 02., 04. und 06. Hundert zu entnehmen, weil nur deren AE zur Zusammenschaltung mit den GLW 4=adrig zum Vh T geführt sind. Ferner sind in diesen Hundertgruppen Anschlüsse mit starken, abgehend gerichtetem Verkehr unterzubringen. Auf diese Weise ergibt sich eine günstige Verteilung der Anschlüsse mit stärkerem Verkehr.

 

Für den ankommenden Verkehr der Großsammelanschlüsse mit 6 und mehr Leitungen sind 20  220=t GLW vorgesehen, so dass für jeden dieser Anschlüsse bis 22 Leitungen ohne Verwendung von Mischwählern geschaltet werden können. Hinsichtlich der Nachtrufnummern für Sammel- und Großsammelanschlüsse bleibt es bei der bisherigen Regelung, dass die Folgenummern von der 2. angefangen - also mit Ausnahme der 1. Leitung mit der Sammelnummer - als Nachtrufnummer zu verwenden sind; bei Großsammelanschlüssen nur die der normalen Rufnummern - also 2 . . . 9 und 0.

 

c)            Für Münzfernsprecher sind 100 Anrufrelaissätze vorhanden, für deren Beschaltung von zunächst 50 vH 20

                100=t AS vorgesehen sind.

 

Die Anlage enthält eine Übersicht der Richtlinien für die Beschaltung und Vergebung der Rufnummern. Ein Belastungsschema der Gruppen nach Zahl der Anschlüsse und Gespräche ist jährlich aufzustellen.

 

3.            Schaltungstechnische Sonderheiten

 

                In den ARS, der sog. Teilnehmerschaltung, sind zwei c-Adern (c1 und c2) vorgesehen, die zu getrennten Kontaktsätzen der LW führen. Vom LW wird nämlich vor der Belegung und Sperrung eines Anschlusses über die hinzugetretene c2 Ader eine Vorprüfung mit anschließender Stillsetzung des Wählers vorgenommen, ob die Leitung in abgehender Richtung beansprucht wird, ohne vom AS schon gesperrt zu sein. Dadurch wird das am AS = System oft bemängelte und für Nebenstellenanlagen sehr lästige, gleichzeitige Benutzen einer Anschlussleitung in beiden Richtungen vermieden. - In solchen Fällen übermittelt der LW das Besetztzeichen.

 

Diese Anordnung wird gleichzeitig auch benutzt, um bei Sammel= und Großsammelanschlüssen die erforderlichen Umschaltungen für die erste und die letzte Leitung in den ARS vorzunehmen, wofür besondere Lötösen vorhanden sind.

 

Die Möglichkeit, Anrufe im ARS zu binden, die infolge fehlender AS nicht befriedigt werden können (Abschaltung), ist ausgenutzt worden, um auch den LW auslösen zu lassen, wenn der anrufende Teilnehmer den Hörer angehängt hat. Da in diesen Fällen u.U. eine Leitungsstörung (a = Ader Erde) vorliegen kann, ist in den ARS = Gestellrahmen das Signal "Mattweiße Lampe ohne Wecker" vorhanden (Leitungsalarm mit verzögerter Anzeige). Dieses Signal erscheint daher nicht mehr an den LW = Gestellrahmen.

 

In der Ausführung der AS, die wie schon erwähnt, die Funktionen der I. GW übernehmen, ist als Sonderheit die Durchgabe der Zählung bei Gesprächsbeginn auch im Ortsverkehr - anstelle der bisherigen Speicherung des Zählimpulses - in Verbindung mit der Zählung im SWFD vorgesehen. Bei dieser Anordnung wird kein besonderer Richtungskontakt für den Höhenschritt 0 benötigt. Da diese Lösung durch die Fortentwicklung der Schaltungen überholt ist, können am I. GW die Dekadenkontakte angebracht werden, die bei einer späteren Änderung zur Zählung im Ortsverkehr bei Gesprächsschluss als Richtungskontakte für die Fernverkehrskennzeichnung dienen.

 

Die Einzelheiten sind in den Beschreibungen der Schaltungsvorgänge nachzulesen.