Zur Geschichte von Philipp Reis, Verbindung zu den Bellprozessen und seinem Telefonapparat.

Die Erfindung des Telephons durch den Lehrer Philipp Reis in Friedrichsdorf bei Homburg v. d. Höhe

Bei den ersten Versuchen, die in Deutschland 1877 mit einem praktisch brauchbaren Fernsprecher angestellt worden sind, wurden amerikanische Fernsprechapparate benutzt, die Professor Graham Bell in Boston erbaut hatte. In seiner grundlegenden Idee fußte der Bell´sche Fewrnsprecher auf einem Apparat, der 1860 von dem Lehrer Philipp Reis in Friedrichsdorf bei Homburg v. d. Höhe erfunden worden war. Das Reis´sche Telephon, wie es Reis selbst getauft hatte, war für den täglichen Gebrauch noch nicht geeignet gewesen. Reis hatte seine Erfindung zwar wiederholt, erstmalig 1861 im Jahresbericht des Physikalischen Vereins zu Frankfurt (Main), veröffentlicht und auch durch einen Mechaniker, Wilhelm Albert in Frankfurt (Main), in einer Reihe von Stücken herstellen lassen, die dann an Liebhaber verkauft wurden. Da man aber damals in Deutschland, namentlich auch in der gelehrten Welt, die Tragweite der Reis´schen Erfindung vorläufig nicht annähernd erkannte, sie vielmehr überwiegend für eine interessante Spielerei ansah, fand sich im Lande des Erfinders kein Unternehmer, der ihm die Hand zur praktischen Vervollkommnung des genialen Apparats geboten hätte. Bald geriet das Reis´sche Telephon in Deutschland in Vergessenheit. In seiner "Geschichte der Technologie", die Karl Karmarsch 1872 in München mit Unterstützun g der historischen Kommission der Bayrischen Akademie der Wissenschaften herausgab, ist über Reis und seinen Apparat nichts zu finden. Sarkastisch schrieb später (6. November 1877) Werner Siemens an seinen Bruder Karl in London, indem er auf das alte Berliner Weihnachtsmarkttelephon -- zwei Waldteufel, die durch einen Bindfaden verbunden waren -- verwies: "Wir Esel haben zwar dies Wunder des deutlichen Verstehens auf sechzig Fuß und mehr Entfernung angestaunt, aber die Sache nicht verfolgt, auch dann nicht, als Reis es elektrisch zu machen versuchte. So nahm der Reis´sche Fernsprecher denselben Weg, der dem von Gauß und Weber in Göttingen 1833 erfundenen elektrischen Telegraphen beschieden gewesen war!" Die deutsche Erfindung wanderte nach England und Nordamerika, wurde dort weiter verbessert sowie für den praktischen Verbrauch hergerichtet und kehrte nunmehr als eine in Amerika patentierte Erfindung nach Deutschland zurück. Hier ist nun allerdings der Bell´sche Apparat erfreulicher Weise von maßgeender Seite niemals als neue Erfindung anerkannt worden. Auch in Österreich, Frankreich und anderwärts hat man sich diesem Standpunkt später angeschlossen. Einer der ersten ausländischen Gelehrten, der auf Grund eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen unserem Reis die Erfindung des Fernsprechers zugesprochen hat, war 1883 der englische Professor Silvanus Thompson. Späterhin trat auch ein amerikanischer Gelehrter W. H. Sharp in dessen Fußstapfen. In einer in der Zeitschrift "Scientific American" vom 15. Juli 1905 hierüber veröffentlichten Arbeit weist Sharp nach, dass bereits 1862 ein Reis´scher Fernsprechapparat in ein naturwissenschaftliches Institut nach Edinburgh gelangt und den Lehrern und Studenten der dortigen Universität und Hochschule vielfach vorgeführt worden sei. Dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache, dass der spätere Professor Aleander Graham Bell 1862/63 in Edinbough -- wo er 1847 geboren wurde -- an der Hochschule studierte und dabei für physikalische und sonstige Apparate besonderes Interesse betätigt hat, berechtigt nach Sharps Überzeugung zu der geradezu sicheren Annahme, dass Bell bereits damals den Reis´schen Fernsprecher auch experimentell kennengelernt habe. Jedenfalls ist auf Grund einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten von Gelehrten verschiedener Nationen im Laufe der Jahre einwandfrei festgestellt worden, dass sowohl Bell als auch andere ausländische Erbauer von Fernsprechern die Reis´sche Erfindung gekannt und sich auf sie gestürzt haben. So gilt das Reis´sche Telephon jetzt nicht nur im deutschen Vaterland als Ausgangspunkt des Fernsprechwesens.

Es ist außerordentlich beachtenswert, was Reis die Anregung zu seiner Erfindung gegeben hat. Sie kam ihm, als er die Funktionen der einzelnen Teile des menschlichen Ohres studierte. So wie bei Hervorbringung eines Tones das Trommelfell durch die Schallwellen der Luft in Schwingungen versetzt wird, die dabei genau denen des Tones entsprechen, wie sich fewrner diese Schwingungen unverändert auf die hinter dem Trommelfelle liegenden Gehörknöchelchen übertragen, nämlich vom Stiele des Hammers und dessen Kopf zum Amboß, von hier zum Steigbügel und damit zum Labyrinth, wo der Gehörnerv beginnt -- ebenso musste es nach Ansicht von Reis möglich sein, einen Apparat zu bauen, der einem bestimmten Ton entsprechende Luftschwingungen erzeugt, die dadurch bei dem Hörer den gleichen Eindruck wie der Ton selbst hervorrufen. Der von Reis nach Anfertigung zahlreicher Modelle schließlich konstruierte Apparat bestand aus zwei Teilen, dem Geber und dem Empfänger. Ein Kästchen mit Schallrohr, in das man hineinsprach und das durch eine Membran (aus Schweinsdünndarm) verschlossen war, bildete den Geber. Auf der Membran saß ein Platinstückchen, das mit dem einen Pole der Batterie in leitender Verbindung stand. Indem sich dieses, wie Reis folgerte, beim Hineinsprechen mit der Membran hin und her bewegte und dabei zeitweilig ein zweites Platinstückchen berührte, an dem der andere Poldraht der Batterie lag, wurde der Strom abwechselbd geschlossen und unterbrochen. Dieser "Stromunterbrecher" entsprach der Betätigung, die Amboß und Hammer im menschlichen Ohr ausüben. Hier wie dort handelte es sich in Wirklichkeit allerdings nicht um Unterbrechungen, sondern um Druckänderungen bzw. um Änderungen des Widerstandes des Stromes an der Berührungsstelle der beiden Platinstückchen. Die dadurch hervorgerufenen Schwankungen in der Stärke des vorhandenen Stromes gelangten durch den Schließungsbogen der Batterie (Leitung) zum Empfangsapparat. Diesen bildete eine Spule von isoliertem Draht, in deren Mitte sich ein Eisenstab befand. Dass ein solcher Stab einen Ton -- in der Hauptsache den Eigenton des Stabes -- hervorruft, wenn der Stab durch einen ihn in raschen Unterbrechungen umfließenden elektrischen Strom fortgesetzt und wieder entmagnetisiert wird, war erstmalig schon 1837 von dem Amerikaner Dr. Page beobachtet worden. Indem Reis diese an sich bekannte Erscheinung ("galvanische Musik") für seinen Empfänger verwertete, erziehlte er den überraschenden Erfolg, dass der von dem Eisenstabe hervorgebrachte Ton mit dem genau übereinstimmte, den die Membran des Gebers aufgenommen hatte. Dieser Stab konnte somit jetzt die verschiedensten Töne wiedergeben. Der Schwerpunkt der Reis´schen Erfindung liegt aber doch in der Konstruktion des Gebers und insbesondere in dessen "Stromunterbrecher".

Nicht selten findet man in der Literatur die Ansicht vertreten, dass der Reis´sche Apparat nur Töne, nicht aber auch die Sprache übermitteln konnte. Es ist richtig, dass Sprechversuche mit dem Reis´schen Telephon des öfteren teilweise oder ganz mißglückt sind, und dass auch der Erfinder selobst dies hat erfahren müssen. Gleichwohl ist der Reis´sche Apparat keineswegs ein bloßes Tontelephon gewesen. Der bekannte amerikanische Professor Hughes, der Erfinder des nach ihm benannten Typendruck-Telegraphenapparats sowie des Mikrophons, hat nach einer ihm 1895 in London gemachten und damals in englischen Fachzeitschriften veröffentlichten Mitteilung, im Jahre 1865 ein Reis-Telephon, das ihm Reis nach St. Petersburg übersandt hatte, dem Kaiser Alexander II. praktisch vorgeführt, wobei es gelang, auch gesprochene Worte vollkommen deutlich durch den Apparat wiederzugeben. Ein anderer amerikanischer Gelehrter, J. Paddock, dem 1885 eins der ersten echten von Reis zu seinen Versuchen benutzten Telephone zugegangen war, und der damit nunmehr seinerseits Versuche anstellte, vermochte "eine große Anzahl von Worten und Sätzen ebenso klar und deutlich, wie es mit den damaligen neueren Telephonen möglich war, zu geben und zu empfangen". Zu den gleichen Ergebnissen führten wissenschaftlich-praktische Versuche, die Provessor Silvanus Thompson in Bristol zu Anfang der achtziger Jahre, sowie Professor Eugen Hartmann in Frankfurt (Main) noch 1898 mit Reis´schen Originaltelephonen unternommen haben.
Dass sich der von Reis uns hinterlassene Fernsprecher sich dessen ungeachtet für den allgemeinen Gebrauch nicht eignete, lag einmal daran, das Geber und Empfänger zwei verschiedene Apparate bildeten, was ein Sprechen in beiden Richtungen recht umständlich machte. Ein weiterer Nachteil ergab sich aus der Benutzung jener tierischen Membrane, die -- was auch J. Paddock an der Hand seiner Versuche hervorhebt -- allmählich die Feuchtigkeit des Atems aufnahm, dadurch ihre Elastizität einbüßte und infolge dessen den Luftschwingungen nicht mehr genau folgen konnte. Hieraus erklärt sich wohl auch, weshalb manchmal die Sprechversuche versagt haben und die übermittelten Töne leicht etwas Näseldes an sich hatten.
Reis starb, 40 Jahre alt, 1874, verstimmt über die nur recht bedingte Aufnahme, die seine Erfindung in der Öffentlichkeit fand, hatte er den Fernsprechapparat schon in den sechziger Jahren wieder beiseite gelegt. "Die Erfindung kam zu früh für die Welt", schreibt Thompson in seinem Werk über Reis. Nicht zuletzt hing dies auch mit den damaligen allgemeinen Verkehrsverhältnissen zusammen. Gab es doch bis 1866 in den deutschen Landen nicht weniger als 17 selbstständige Telegraphenverwaltungen, darunter selbst solche in einzelnen Städten wie Lübeck, Bremen, Hamburg und Frankfurt (Main). Eine derartige Buntscheckigkeit und territoriale Beschränktheit im Schnellnachrichtenverkehr Deutschlands konnte aber nicht dazu beitragen, von Staatswegen eine Erfindung zu fördern, die dazu bestimmt war, den Telegraphenverkehr in mehr als einer Hinsicht grundsätzlich umzugestalten.
aus 40 Jahre Fernsprecher von Stephan, Siemens und Rathenau

Die Beurteilung des Telephons von Reis in der Entscheidung über die

Bell – Telephon – Prozesse.

            Wie in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift berichtet wurde, haben die Streitigkeiten über die Gültigkeit des Bell´schen Patentes ihren vorläufigen Abschluss gefunden, indem besonders der fünfte Anspruch des Patentes aufrecht erhalten worden ist.

            In der Entscheidung des Gerichtshofes finden sich unter einer besonderen Überschrift: >> Bell´s method not in Reis´ apparatus << Behauptungen vor, welche das Erstaunen und den lebhaften Widerspruch Aller hervorrufen müssen, denen die Wirksamkeit des Telephons von Reis bekannt ist.

            So wird z.B. in dem Erkenntnisse gesagt, dass es Reis nicht gelungen sei, mittels seines Instrumentes gesprochene Laute zu übermitteln; dieser Misserfolg sei darin begründet, dass Reis nie daran gedacht habe, mit allmählich abnehmenden und ansteigenden Strömen zu arbeiten. Die Anwendung dieser Ströme zur telegraphischen Übermittelung der Sprache sei ein Entdeckung von Bell – der Unterschied Zwischen der Tätigkeit des letzteren unter von Reis sei genau derjenige zwischen Erfolg und Misserfolg.

            Dem Andenken des toten deutschen Forschers sind wir es schuldig, solche nicht zum ersten Male aufgestellten Sätze auf ihren wirklichen Wert zurückzuführen.

            Wenngleich durch eine derartige Ausführung etwas Neues nicht geliefert werden kann, so fordert doch die Beurteilung der Tätigkeit von Reis in der Entscheidung des amerikanischen Gerichtshofes, deren Wortlaut mehr oder weniger ausführlich in allen größeren Zeitschriften des In- und Auslandes veröffentlicht wurde, die abermalige Betonung der Ansprüche und Verdienste des fleißigen und rastlosen Forschers vom rein wissenschaftlichen Standpunkt aus.

            Zu diesem Zwecke müssen wir etwas näher auf die Entscheidung bezw. Auf den Eingangs genannten Abschnitt derselben eingehen.

            Der erwähnte fünfte Anspruch in Bell´s Patent vom 7. März 1876 lautet zunächst wörtlich:

            >> Die Methode und der Apparat zur telegraphischen Übertragung von Lauten, welche durch die Stimme hervorgebracht werden oder von anderen Tönen ( vocal or other sounds), wie beschrieben, durch Erregung elektrischer Schwingungen in der Form ähnlich den Luftschwingungen, welche mit besagten Lauten oder anderen Tönen verbunden sind (accompanying the said vocal or other sounds) <<.

            Die >> Methode << bezieht sich, wie das Erkenntnis weiter ausführt, auf die Hervorbringung allmählicher (gradual) Änderungen der Intensität eines elektrischen Stromes, welche Änderungen genau den Änderungen der Dichtigkeit der Luft entsprechen, die durch Lautgebung veranlasst werden.

            Solche Intensitätsänderungen sind möglich durch die >> magneto method <<, d.h. durch Bewegung von Körpern, welche induzierend wirken, auch durch Schwingungen eines Leiters in der Nähe solcher Körper oder durch die >> variable resistance method <<, d.h. durch abwechselnde Vermehrung oder Verminderung des Widerstandes im Stromkreise bezw. In der Batteriestärke.

            Das Patent – so sagt das Erkenntnis weiter – gilt für beide Methoden und speziell für den >> magneto apparatus <<, in welchem ein Elektromagnet verwendet ist.

            Hieraus geht hervor, dass der Gerichtshof den Ansprüchen Bell´s bezügliche der Hervorbringung von undulierenden Strömen eine sehr weite Ausdehnung gibt, innerhalb deren Bereich auch die Tätigkeit des Mikrophons im primären Kreise fällt, aber gerade die als >>variable resistance method << bezeichnete Methode ist es, welche wir für den Apparat von Reis unbedingt in Anspruch nehmen.

            In Betreff des Apparates von Reis sagt dann das Erkenntnis:

            >> Reis entdeckte, wie man musikalische Töne wiedergeben kann, aber mehr nicht. Er konnte mittels seines Telephons singen, aber nicht sprechen. Vom Anfang bis zu Ende habe er dies zugegeben. Er sage selbst, dass es ihm nicht gelungen sei, gesprochene Laute mit genügender Deutlichkeit für Jedermann wiederzugeben. Er spreche nur davon, dass er mit Erfolg die Töne verschiedener Instrumente und sogar bis zu einem gewissen Grade die menschliche Stimme wiedergeben könne.<<

            Die vorstehenden Behauptungen des Erkenntnisses bezüglich der Art und der Wirkung der Ströme führen dazu, uns folgende drei Fragen vorzulegen:

1.      Wird durch den Apparat von Reis ein kontinuierlicher Strom in Undulationen versetzt?

2.      Hat Reis die Absicht gehabt, nur Töne zu übertragen oder auch gesprochene Laute?

3.      Ist es möglich, mit dem Apparat von Reis die Sprache zu übertragen?

 

Muss die erste Frage bejaht werden, so fällt damit tatsächlich die wesentlichste Bedeutung der Ansprüche von Bell – denn Bell hat ja, wie die Entscheidung besagt, gefunden, dass der richtige Weg sei, mit einem ununterbrochenen (unbroken) Strom durch Änderungen seiner Intensität zu operieren.

            Es ist bekannt, dass Reis bei seiner Einrichtung einen beständig die Leitung durchfließenden Strom anwendete, die Konstruktion des Gebers ist ferner derartig, dass gerade nach derjenigen einen Methode, welche Bell zugesprochen wird – durch Änderungen des Widerstandes im Stromkreise – Undulationen des Stromes hervorgerufen werden.

            Bei dem Geber von Reis drückt ein metallener Hebel mit einem Platinkontakt vermöge seines Gewichtes auf eine in der Mitte der Membran befindliche Kontaktfläche, und es kann doch wohl nicht zweifelhaft sein, dass, wenn die Membran in Folge eines an der unteren Fläche derselben ausgeübten wechselnden Druckes in Schwingungen gerät, ein ähnliches Verhältnis eintritt, wie z.B. bei dem Mikrophon von Berliner, in welchem ein Kohlenkontakt vermöge seines Gewichtes gegen einen Kontakt der Membran anliegt.

            Zugegeben sind Fälle, in denen das besagte Verhältnis nicht eintreten kann, d.h. Fälle, in denen der Kontakt tatsächlich die Rolle des Stromunterbrechers spielt. Solches hängt nicht allein von der Einstellung (Spannung) der Membran ab, sondern auch von der Weite der Schwingungen bezw. der Stärke der Lautgebung.

            Dass der Kontakt aber unter bestimmten Umständen Stromundulationen zur Folge hat, und dass dies notwendig ist, wenn der Apparat gut und richtig funktionieren soll, geht aus dem Umstande hervor, dass man mit dem Geber von Reis und einem Bell – Empfänger arbeiten kann.

            Wenn überhaupt Töne und Melodien richtig zur Übertragung gelangen sollen, so müssen undulierende und nicht intermittierende Ströme erzeugt werden.

            Die Entscheidung besagt, dass erst Bell die Notwendigkeit erkannt habe, mit entsprechenden Stromundulationen zu arbeiten, Reis habe hieran nicht gedacht. Es ist richtig, dass Reis den bestimmten physikalischen Begriff eines undulierenden Stromes nicht kennt und dass er vom Öffnen und Schließen des Stromes spricht; er hatte in solcher Beziehung offenbar eine unrichtige Vorstellung von den elektrischen Vorgängen in seinem Geber, wenngleich seine Anschauungen über die Art der Wiedergabe von Tönen zutreffen. Aber dies hat mit der tatsächlichen Wirksamkeit seines Gebers Nichts zu tun; es kommt für das Verdienst des Reis zunächst nicht darauf an, wie er sich den genauen physikalischen Vorgang vorgestellt hat, sondern wie dieser Vorgang wirklich beschaffen ist.

            Ebenso wie bei dem Geber von Reis können in Mikrophonen Unterbrechungen bei stark gehobener Stimme eintreten, und es werden dann die Schwingungen auch nicht mehr genau wiedergegeben. Ändert dies aber etwas an der Tatsache, dass der variable Kontakt Undulationen des Stromes hervorzurufen vermag?

            Die Eigenschaft des Gebers von Reis, Stromundualtionen hervorzurufen, kann nur ein Unkundiger in Abrede stellen. Vom technischen Standpunkt aus kann man die vorausgesetzte, nicht zutreffende Anschauung von Reis über die Vorgänge in seinem Geber nicht zu Hülfe rufen, um die Tatsache zu verneinen, dass dem Reis das Verdienst zusteht, einen Geber mit veränderlichem Widerstande konstruiert zu haben, welcher fähig ist, zur Lautübertragung geeignete Stromundulationen hervorzurufen.

            Reis wollte aber auch >> gesprochene Laute << übermitteln. Schon aus seiner Äußerung, >> dass der Apparat bis zu einer gewissen Ausdehnung die Sprache wiedergebe, ist dies wohl zu folgern, weiter bezeugt solches ausdrücklich ein früherer Schüler von Reis, E. Horkheimer, mit den Worten:

            >> Reis wollte die Sprache übertragen, das war sein Hauptziel ...<<

            Auch in dem den Apparaten beigegebenen Prospekte aus dem Jahre 1863 war von Übertragung der Sprache die Rede. Keinerlei Auslassung von Reis ist bekannt, dass er Übertragung der Sprache nicht beabsichtigte.

            Das eine Übertragung möglich war und mit der letzten Form des Gebers und Empfängers geschehen ist, wird von einer Reihe von Zeitgenossen ausdrücklich anerkannt. Professor Quincke, Dr. Bohn, E. Horkheimer, Musiklehrer Peter, Heinrich Hold bezeugen es.

            Professor Quincke sagt:

            >> Ich hörte deutlich sowohl singen als sprechen. <<

            Dr. C. Bohn (Aschaffenburg):

            >> Es war mit bekannt (1863 – 1864), dass Reis Worte übermitteln wollte, und zwar ebenso wohl gesprochene als gesungene Worte ...

            Gesungene Worte, gut akzentuiert und intoniert, wurden etwas besser verstanden, als wenn dieselben in gewöhnlicher Art gesprochen waren. <<

            Dr. Bohn erwähnt ferner eines Knaben (Ihering), den man vermöge seines scharfen norddeutschen Dialektes habe besser verstehen können.

            In neuerer Zeit hat Hofrat Dr. Stein zu Frankfurt (Main), ein Mitarbeiter des Reis an seinen Versuchen, die Tatsache der Übertragung einzelner Worte mittels des Gebers und Empfängers von Reis ebenfalls wiederholt anerkannt.

            Mit einem Reis – Empfänger spricht, wie der Anwalt Ingersoll ausführte, der Reis – Geber, aber besser spricht der letztere mit einem Bell – Empfänger; jedenfalls spricht also der Geber, denn es kann doch nur wieder das hervorgebracht werden, was im Geber erzeugt war.

            Die Behauptung in der Entscheidung:

            >> er konnte singen durch sein Telephon, aber nicht sprechen. Von Anfang bis zu Ende hat er dies zugegeben <<

entspricht demnach in ihrer allgemeinen Fassung in keinem Teile den Tatsachen.

            Wenn die Entscheidung zugibt, dass es sich wesentlich um die Gestaltung des Stromes handelt und nicht um einen spezifischen Apparat, so ist dies genügend, um zunächst die erste tatsächliche Anwendung der Methode des >> variablen Widerstandes im Stromkreise <<dem Reis zuzusprechen.

            Damit ist keineswegs eine Herabsetzung der großen Verdienste von Bell beabsichtigt; die Methode, durch Induktionswirkungen in der bekannten Weise undulierende Ströme zu erzeugen, bleibt ihm unbestritten, ebenso das Verdienst, die Bedingungen der Stromgestaltung genauer erkannt und bei Ausbildung der Apparate benutzt zu haben.

            Aber für Philipp Reis müssen wir ebenso das unbestreitbare Verdienst in Anspruch nehmen, durch Hervorbringung entsprechender undulierender Ströme – welche e, soweit seine mündlichen und schriftlichen Auslassungen zu erkennen geben, irrig als intermittierende ansah – die Möglichkeit der Übertragung der Sprache zuerst praktisch erwiesen zu haben.

            Der Erfolg, der Reis unablässigen Forschungen in wenigen Jahren zu Teil ward, berechtigt uns zu dem Schlusse, dass die Fortsetzung seiner fleißigen Arbeit zu demselben Ergebnisse geführt haben würde, wie Bell es erzielt hat, aber nicht allein bittere Entmutigung, die seinem Streben wurde, sondern auch unheilbares körperliches Leiden führten dazu, dass er mit dem Studium seiner Erfindung abschloss.

            Er habe der Welt den Weg zu einer großen Erfindung gezeigt, die weiter zu entwickeln er jetzt Anderen überlassen müsse – das war seine prophetische Äußerung – die wenige Jahre später, als er bereits auf dem Friedhofe zu Friedrichsdorf seine letzte Ruhe gefunden hatte, schon vollständig sich bewahrheitet zeigen sollte, aber auch dartut, dass Reis an der praktischen Bedeutung seiner Erfindung festhielt.

            Die Priorität der Erfindung eines für den Verkehr brauchbaren Apparates und das genaue Bewusstsein der Vorgänge bei der Stromgestaltung in seiner Methode mag ihm ein Gerichtshof aberkennen, vor dem Forum der Geschichte der Technik genügen die einfachen und klaren Tatsachen, um Reis als den Erfinder der telephonischen Übermittelung der Sprache für alle Zeiten hinzustellen.

Grawinkel.

 

nebenstehende Exponate sind Nachbauten des Deutschen Telefon-Museums in Morbach, erbaut von Siegfried Warth nach Original-Maßangaben.
Geber Empfänger Bauzeichnungen